DIE DEUTSCHE SPRACHE IN ELSASS-LOTHRINGEN (TEIL 1)
DIE GESCHICHTLICHE BEDEUTUNG DES ELSASS
FÜR DIE DEUTSCHE SPRACHE
Das Elsässer Deutsch oder Elsässisch – das ist ein Sammelbegriff für die Mundarten, die wir als Deutschschweizer spontan recht gut verstehen, ohne uns lange daran gewöhnen zu müssen. Zwar durchziehen wie in der Schweiz verschiedene Dialektgrenzen die Landschaft, doch der größte Teil des Elsass gehört zum Bereiche des Niederalemannischen.
Das Elsass ist aber nicht nur ein Land des Dialekts und der Folklore mit Liedern, Trachten, Gewürztraminer, Flammenkuchen und Gugelhopf. Otfried von Weißenburg ist mit seinem Evangelienbuch ein Pionier deutschsprachiger Epik; in diesem Werk führte er den Endreim in die deutsche Dichtung ein. Reinmar von Hagenau und Gottfried von Straßburg waren bedeutende Dichter der mittelhochdeutschen Literatur. Um das Jahr 1500 herum wirkte in Straßburg Sebastiant Brant: der Satiriker, Lyriker und Verfasser einer Moralität. Mit den Exponenten Matthäus Zell und Martin Bucer nahm Straßburg in der Reformation eine wichtige Rolle ein, und der Buchdruck fasste wenige Jahre nach seiner Erfindung in der Stadt Fuß. Im Jahre 1605 erschien in Straßburg die erste gedruckte Zeitung der Welt, ein Wochenblatt. Aus dem 17. Jahrhundert kennen wir einen weiteren Satiriker bekannt: Johann Moscherosch.
Die Wehrtürme und gedeckten Brücken der Straßburger Altstadt
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert trafen sich in Straßburg Herder, Goethe und J.M.R. Lenz. J.G.D. Arnold und Ehrenfried Stöber begründeten im 19. Jh. das elsässische Theater. Stöbers Söhne August und Adolf wirkten seit den 30er Jahren als Dichter und Sammler von Sagen; den dreien ist am Alten Fischmarkt in Straßburg ein Denkmal gewidmet. In Lothringen sammelte Fritz Peters Märchen, Louis Pinck Volkslieder. Gustave Stoskopf schrieb Gedichte und Komödien ausschließlich im Straßburger Dialekt. Die Kriegs- und Nachkriegszeit fand ihren bitteren Niederschlag in Marie Harts Erinnerungen Üs unserer Franzosezit.
Der international wohl bekannteste Elsässer überhaupt ist der „Arzt“, Musiker, Theologe und Philosoph Albert Schweitzer. René Schickele hatte einen deutschen Vater und eine französische Mutter; er setzte sich für die Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland ein. Er schrieb auf Deutsch Essays, Gedichte und die Romantrilogie Das Erbe am Rhein. Er entging der Verfolgung durch die Nazis durch Flucht ans Mittelmeer.
André Weckmann wurde im 2. Weltkrieg zwangsrekrutiert, desertierte während eines Genesungsurlaubs und schloss sich der Widerstandsbewegung an. Er schrieb Gedichte im Dialekt sowie Romane vorwiegend auf Hochdeutsch, vereinzelt auch im Dialekt und auf Französisch. Roger Siffer ist ein bekannter Liedermacher und Kabarettist. Claude Vigée wuchs mit deutscher und französischer Literatur auf, musste aber als Jude nach Amerika fliehen. Er hat meist auf Französisch geschrieben, aber auch Gedichte auf Elsässer Jidisch verfasst.
Diese Hinweise müssen genügen; es geht hier ja nicht darum, eine Geschichte der elsässischen Literatur im Abriss zu bieten.
DER FRANZÖSISCHE EROBERUNGSKRIEG
Bis ins 17. Jahrhundert gehörte das Elsass unbestritten zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges nutzte der französische König Ludwig XIV zu Eroberungszügen im Elsass. Jene Städte, die im Zehnstädtebund vereint waren, wurden zwischen 1673 und 1674 von französischen Truppen erobert; die Annexion wurde im Frieden von Nimwegen 1679 bestätigt. Zwei Jahre später überfielen die Truppen Ludwig XIV mitten im Frieden die Stadt Straßburg. Nun war der Anschluss des Elsass an Frankreich beinahe komplett; im Frieden von Rijswijk wurde das eroberte Land 1697 vom Heiligen Römischen Reich formell an Frankreich abgetreten. Einzig Mülhausen konnte sich als Zugewandter Ort der Eidgenossenschaft der Einverleibung in Frankreich entziehen. Erst 1798 schloss sich die Stadt aus pragmatischen Gründen der Französischen Republik an.
KULTURELLE AUTONOMIE IM 17. UND 18. JH.
Das Königreich Frankreich tastete jedoch die sprachliche und kulturelle sowie auch die wirtschaftliche Zugehörigkeit des Elsass zum deutschen Sprachraum nicht an. Als Straßburg 1681 fiel, wurde zwar sogleich das Münster rekatholisiert, doch wurde das Edikt von Fontainebleau von 1685, durch welches Ludwig XIV das Edikt von Nantes von 1585 widerrief und die Protestanten entrechtete und enteignete, nicht auf das Elsass angewandt. Wirtschaftlich bildete dieses weiterhin eine Einheit mit dem Oberrheinischen Raum; die französische Zollgrenze noch stets auf dem Rücken der Vogesen.
Zwar hielt die französische Sprache in der Verwaltung Einzug und fand in der Oberschicht zunehmend Verbreitung, doch hielt sich das Deutsche in der lokalen Verwaltung sowie in der Kirche und blieb Unterrichtssprache an den Schulen, auch an der Universität Straßburg. Bekanntlich studierte Goethe hier drei Semester lang die Rechte, lernte Gottfried Herder kennen und begeisterte sich unter dessen Einfluss für Volkslieder und Shakespeare und schrieb seinen Aufsatz über das Straßburger Münster.
NACH DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION
Nach der Revolution wurde die Universität Straßburg als Hort des deutschen Geistes angefeindet und schließlich 1794 geschlossen. Im selben Jahre wurde sie wiedereröffnet, nun aber als französische Hochschule. Sie verlor jedoch ihre Unabhängigkeit und war nun als Académie bloß eine Filiale der zentralistisch geführten Université de France. Das Französische gewann weiter an Boden, doch das Volk blieb im wesentlichen deutschsprachig.
ELSASS-LOTHRINGEN IM DT. REICH
Napoleon III begann, provoziert durch Bismarcks Kurzfassung der Emser Depesche, den Deutsch-Französische Krieg von 1870/71. Entgegen Napoleons Erwartung blieben jedoch die süddeutschen Staaten nicht neutral, sondern traten an Preußens Seite in den Krieg ein, während die übrigen europäischen Mächte neutral blieben, weil sie die französische Kriegserklärung für unbegründet hielten. Der Krieg endete bekanntlich für Napoleon in einem Desaster und für Frankreich in einer Niederlage. Das Elsass wurde ein Teil des neugegründeten Deutschen Reiches und zusammen mit Deutsch-Lothringen samt dessen Hauptstadt Metz als Reichsland Elsass-Lothringen direkt dem Kaiser unterstellt. Die Elsässer lehnten die Annexion mehrheitlich ab, denn sie hatten keine gefühlsmäßige Bindung an Deutschland mehr, owohl viele von ihnen kein Französisch sprachen. Bismarcks Kulturkampf gegen den politischen Einfluss der katholischen Kirche und der katholischen Organisationen in den 70er Jahren verschärfte die Situation, denn die Elsässer waren selbst mehrheitlich katholisch. Der Elsässische Landesausschuss wurde vom Volk nur mittelbar gewählt über die Bezirkstage. In den Reichswahlen wählten bis 1887 die Katholiken mehrheitlich Protestler, welche die Zugehörigkeit zum Deutschen Reiche ablehnten und an den Sitzungen des Reichstags nicht teilnahmen; die Protestanten unterstützten vor allem die Autonomisten, welche eine weitgehende Selbstverwaltung anstrebten. Diese beiden Parteien erhielten 1887 zusammen 75%, doch schon bei der folgenden Reichstagswahl von 1890 spielten sie keine Rolle mehr. Erst 1911 erhielt das Reichsland Elsass-Lothringen eine Verfassung und einen vom Volke gewählten Landtag mit zwei Kammern, deren erste ein Honoratiorenparlament war, das nach einem festen Schlüssel zusammengestellt wurde, während die zweite in sechzig Wahlkreisen nach dem Majorzprinzip gewählt wurde. Durch diesen Landtag wurde die Stellung Elsass-Lothringens im Deutschen Reiche normalisiert, doch wurde der gute Ansatz durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die deutsche Niederlage bald abgewürgt. Im Ersten Weltkrieg kämpften Elsässer sowohl auf französischer als auch auf deutscher Seite.
Denkmal zur Erinnerung an die Zürcher Hirsebreifahrt nach Strassburg von 1456
DAS ELSASS NACH DEM 1. WELTKRIEG
Der Landtag rief nach dem Waffenstillstand ein souveränes Elsass-Lothringen aus, doch Frankreich erkannte diese Unabhängigkeit nicht an, und die unabhängige Republik bestand nur ein paar Tage lang.
Frankreich war gewillt, Elsass-Lothringen zentralistisch zu regieren und auf die regionalen Besonderheiten wenig Rücksicht zu nehmen. Französisch wurde als Amts- und Schulsprache eingeführt. Die Linksregierung Herriot übernahm den Plan ihrer Vorgängerin und hob das Generalkommissariat in Straßburg für Elsass-Lothringen zum 1. Januar 1925 auf und ersetzte es durch eine "Generaldirektion" mit Sitz in Paris. Der Conseil consultatif, der schwächliche Nachfolger des Landrats mit rein beratender Funktion, war schon Mitte November 1924 durch bloßes Dekret abgeschafft worden. Damit hatte Frankreich das Gebilde Elsaß-Lothringen verfassungsmäßig zerstört.
Die Antwort auf die französische Assimilierungspolitik in Elsass-Lothringen war 1926 die Gründung des Elsässischen Heimatbundes unter Leitung von Eugen Ricklin. Die Zielsetzung war gemäßigt, das Elsass sollte als Brücke zwischen zwei großen Kulturen zur Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland beitragen. In einem Erlass von 1927 verfügte Ministerpräsident Poincaré, dass Deutsch an der Volksschule von der zweiten Hälfte des zweiten Schuljahres bis zum Ende der Schulpficht als Pflichtfach unterrichtet wurde. Dieser Erlass ist nie aufgehoben, nur 1945 suspendiert worden. Frankreich begegnete im übrigen dem Heimatbund misstrauisch, und nach Ricklins Tod 1935 gerieten Teile des Heimatbundes in die Nähe der Nationalsozialisten und diskreditierten dadurch ihre Bewegung.
NAZIHERRSCHAFT IM ZWEITEN WELTKRIEG
Die Besetzung von Elsass-Lothringen war insgesamt von kurzer Dauer und brachte dort alles, was mit Deutschland und der deutschen Sprache zusammenhing, in Misskredit. Formell wurde das Elsass nicht annektiert, aber einer reichsdeutschen Zivilverwaltung unterstellt. 130'000 Elsässer und Lothringer wurden zwangsrekrutiert, und das berüchtigte Konzentrationslager Struthof wurde errichtet.
DEUTSCH-FRANZÖSISCHE VERSÖHNUNG UND FRANZÖSISCHE ASSIMILATIONSPOLITIK
Nach dem Krieg hatten zwei Politiker aus Elsass-Lothringen maßgeblichen Anteil am Wiederaufbau Europas und an der deutsch-französischen Aussöhnung: Pierre Pflimlin und Robert Schumann. Gleichzeitig betrieb Frankreich eine scharfe Assimilationspolitik; Kinder wurden bestraft, wenn sie im Schulhof oder auf dem Schulweg Deutsch sprachen. Im Erscheinungsbild der Ortschaften spielte das Deutsche keine Rolle mehr, außer in traditionellen und folkloristischen Bezeichnungen wie etwa Winstub. Dieser Assilimilierungspolitik wurde wenig Widerstand entgegengesetzt, weil sich die meisten Elsässer darum bemühten, gute französische Patrioten zu sein und weil das Deutsche durch den Nationalsozialismus und den Krieg diskreditiert war. Erst 1952 wurde Deutschunterricht wieder zugelassen – dotiert mit zwei Wochenstunden und fakultativ.
ELSASS -LOTHRINGEN SEIT 1968
1968 wurde der RenéSchickeleKreis gegründet, der sich für ein zwei sprachiges Elsass einsetzte. Er formulierte seine Zielsetzungen und Forderungen in dem Manifest Notre Avenir est Bilingue – Zweisprachig: Unsere Zukunft. Auf politischen Druck erlaubten nun die Schulbehörden 1972 den Unterricht einer halben Stunde Deutsch pro Tag in den Volksschulen. Die Zahl der Kinder, die Mundart sprachen, nahm aber weiterhin ab, und 1982 bekräftigten selbst die Schulbehörden ausdrücklich die Wichtigkeit der deutschen Sprache für das Elsass. 1985 wurde sogar Deutsch als als Regionalsprache des Elsass anerkannt, allerdings ohne dass es damit auch zur Amtssprache erhoben wurde. 1991 entstand die private Elternvereinigung ABCM, die fünf zweisprachige Vorschulklassen eröffnete. 1992 waren dann die Schulbehörden gefordert und mussten nachziehen; sie gründeten deswegen auch einige solcher Klassen an öffentlichen Vorschulen.
Heute haben immer noch die meisten Kinder ihren Schulunterricht auf Französisch mit wöchentlich drei Deutschstunden vom dritten Schuljahr an. Das Fach wird nicht benotet und deshalb von vielen Schülern nicht ernstgenommen, aber die Fortführung des Unterrichts an den Gymnasien (lycées) ist gewährleistet. 12% der Kinder sind in zweisprachigen Klassen. Das ist natürlich für die Wiederherstellung einer echten Zweisprachigkeit noch viel zu wenig.
Im Jahre 1972 wurde die Region Elsass geschaffen, welche die Departemente Haut-Rhin und Bas-Rhin umfasste; sie trug aber nur wenig zur Förderung der Zweisprachigkeit. 2013 sollte die der Verwaltung in einer neuen Gebietskörperschaft zusammengelegt werden. Die Vorlage wurde aber abgelehnt: Das Unterelsass war dafür, das Oberelsass dagegen.
In Deutsch-Lothringen ist der deutsche Dialekt, Platt genannt, noch stärker geschwächt als im Elsass. Kürzlich hat die René-Schickele-Gesellschaft gefordert, dass das Elsass und Deutsch-Lothringen sich durch mehr Zusammenarbeit stärken, um sich im Grand Est Gehör und Gewicht zu verschaffen. Doch da ist noch alles im Fluss.
2015 wurde die Region Elsass von der Regierung Hollande abgeschafft, indem das Elsass mit Lothringen und der Champagne zusammengelegt wurde zur neuen Großregion Grand Est. Man kommt nicht umhin, diese Fusion als Maßnahme zu interpretieren, die Identität des Elsass weiter auszuhöhlen.
Noch gilt im ehemaligen Reichsland Elsass-Lothringen das Lokalrecht aus der Zeit vor 1918. Vorteile bietet dieses im Arbeits- und Sozialrecht (Lohnfortzahlung und Feiertage; Krankenversicherung und Sozialhilfe); die Gemeinden haben eine größere Autonomie; Priester, Pastoren und Rabbiner werden vom Staat bezahlt, in der Schule wird Religionsunterricht erteilt, es gibt staatliche theologische Fakultäten an der Universität Straßburg und staatlich refinanzierte konfessionelle Schulen.
René Wyß-Wolf (rww)
Speak white
redd wiss
nêger
wiss ésch scheen
wiss ésch nôwel
wiss ésch gschît
wiss ésch fránzeesch
fránzeesch ésch wiss
wiss un chic
elsasser
elsassisch degajenet
zall ésch brimidîv
vülgêr
pfùi!
drum redd wiss
nêger
illnêger brischnêger môdernêger
drum redd wiss
wiss wi z báriss
un dunk dini nêgersprôch
en formôl
un schank se em müséum
drum redd wiss
nêger
dáss d wiss wursch
andli
wiss un gschît
wiss un chic
wiss wi z báriss
(André Weckmann: Schang d'sunn schint schun lang)